Vor einiger Zeit gab es im Voltimum-Expertenrat eine Frage zum Einsatz von Fehlerstrom-Schutzschaltern in landwirtschaftlichen Anlagen, aus der indirekt hervorging, dass es hinsichtlich der „Schutzmaßnahme des Fehlerschutzes“ (ob Nullung oder Fehlerstrom-Schutzschaltung) und der sonstigen Anwendung von FI-Schutzschaltern in landwirtschaftlichen Anlagen doch gewisse Unklarheiten gibt. Mit dem nachfolgenden Beitrag soll versucht werden, ein besseres Verständnis der für manchen Praktiker ein wenig undurchsichtigen, weil übergreifenden Bestimmungen zu erreichen.

Für diese Fragen sind in Österreich drei wichtige Bestimmungen maßgeblich, die auch über das Internet eingesehen werden können, z.B. über www.ris.bka.gv.at :
- ÖVE/ÖNORM E 8001-1, Begriffe und Schutz gegen den elektrischen Schlag; konsolidierte Ausgabe 2010-03-01 (Verbindlichkeit derzeit nur bis zur Änderung A4:2009, jedoch soll die volle Verbindlichkeit durch die nächste ETV erfolgen),
- ÖVE/ÖNORM E 8001-4-56, Elektrische Anlagen in landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Betriebsstätten; Ausgabe 2003-05-01, (verbindlich seit ETV 2002, Änderung A1:2006), als zusätzliche Sonderbestimmung für den besonderen Anwendungsbereich, sowie
- die Nullungsverordnung, BGBl. II Nr. 322/1998.
Für den Praktiker, der in landwirtschaftlichen Anlagen eine Anzahl unterschiedlicher Fehlerstrom-Schutzschalter vorfindet bzw. installieren muss, stellt sich nun die durchaus berechtigte Frage, um welche der „Schutzmaßnahmen des Fehlerschutzes“ gemäß Teil 1 der Bestimmungen von ÖVE/ÖNORM E 8001 es sich hier nun wirklich handelt.
Der Fehlerstrom-Schutzschalter bestimmt nicht die Schutzmaßnahme
Es muss hier mit dem nicht seltenen Missverständnis aufgeräumt werden, dass die Anwendung eines FI-Schutzschalters immer mit der „Schutzmaßnahme Fehlerstromschutz“ verbunden sei. Wahr ist vielmehr, dass die Schutzmaßnahme des Fehlerschutzes jedenfalls von der Auswahl des sogenannten „Netzsystems“ (Begriffsbestimmung in Teil 1 der Norm unter Abschnitt 3.1.2) abhängig ist, obwohl diese international festgelegten Systembezeichnungen in unserer Norm nicht im Vordergrund stehen. Die Entscheidung über die Schutzmaßnahme fällt nämlich beim Hausanschluss einer Anlage an das öffentliche Versorgungsnetz mit der Tatsache, ob eine „Nullungsverbindung“ ausgeführt wird oder nicht. Dabei stehen in Österreich nur das „TT-System“ oder das „TN-System“ zur Auswahl. Der Anschluss erfolgt somit immer an Netze, deren Sternpunkt beim Netzbetreiber geerdet ist. (IT-Systeme kommen schon seit Jahrzehnten in der öffentlichen Stromversorgung Österreichs nicht mehr zur Anwendung, wohl aber z.B. in Norwegen sowie historisch z.B. in Stadteilen von Brüssel und anderswo.)
Vorzug für die Nullung in Österreich
Jedem Praktiker ist gut bekannt, dass unsere öffentlichen Versorgungsnetze grundsätzlich vieradrig ausgeführt sind und der Neutralleiter des Netzes an mehreren Stellen vom Netzbetreiber geerdet werden muss. Allerdings ist die Entscheidung, ob der Schutzleiter einer Anlage mit diesem in der Regel gut geerdeten Neutralleiter verbunden werden darf oder nicht, aus diversen technischen Gründen letztlich durch den Netzbetreiber zu fällen, wobei jedoch seine Entscheidungsfreiheit durch die Nullungsverordnung sehr stark eingeschränkt wurde.
Mit der Nullungsverordnung wurde dem langjährigen Philosophiestreit um die Vorzüge und Nachteile dieser beiden Systeme sowie der Entscheidungsfreiheit des Netzbetreibers für eines der beiden Systeme ein Ende bereitet. Heute, nach Ablauf einer bis Ende 2008 festgelegten Übergangsfrist, sollten alle öffentlichen Versorgungsnetze in Österreich grundsätzlich für die Anwendung der Schutzmaßnahme des Fehlerschutzes „Nullung“ freigegeben sein.
Ausnahmen davon gibt es nur in wenigen, technisch besonders begründete Fällen, vor allem bei Anschlüssen im Einflussbereich elektrischer Bahnen und Höchstspannungs-Freileitungen.
Während die Nullungsverordnung bestimmt, dass alle Neuanschüsse an die freigegebenen Netze mit der Schutzmaßnahme Nullung auszuführen sind, kann heute noch keineswegs davon ausgegangen werden, dass sehr viele Altanlagen bereits auf diese Schutzmaßnahme umgerüstet wurden, weil dies den Anlageninhabern nur unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtend aufgetragen werden konnte.
Technisch-physikalische Unterschiede zwischen TT- und TN-System
So kurz wie möglich soll hier noch auf die Unterschiede der beiden Systeme und die Gründe für die Erlassung der Nullungsverordnung eingegangen werden, weil dabei landwirtschaftliche Anlagen mit Nutztierhaltungen eine bestimmte Rolle gespielt haben.
Sowohl im TT- als auch im TN-System läuft der Fehlerschutz letztlich auf eine möglichst rasche Ausschaltung eines fehlerhaften Anlagenteiles hinaus. Beim TT-System steht dem Anlagenbetreiber (nur) eine per Definition vom Versorgungsnetz unabhängige Erdung für den Schutzleiter seiner Anlage zur Verfügung. Sieht man von der heute nicht mehr aktuellen Schutzmaßnahme „Schutzerdung“ ab, so wird für diesen Erder nur gefordert, dass sein Erdübergangs-Widerstand den Wert 100 Ω nicht überschreitet; im Regelfall ist für einen solchen Einzelerder etwas mehr als 10 Ω anzunehmen. Unter solchen Voraussetzungen fließen relativ geringe Fehlerströme, von denen die Auslösung einer Überstrom-Schutzeinrichtung nicht erwartet werden kann. Somit kommt hier in der Praxis als Ausschalteinrichtung nur ein FI‑Schutzschalter in Betracht. Der von der Netzspannung gegen Erde (Nennwert 230 V) getriebene Fehlerstrom fließt voll über den Anlagenerder und verursacht dort eine Fehlerspannung mit relativ hohen Werten bis fast zur Nennspannung während der Fehlerdauer. Diese Spannung ist am Schutzleiter der gesamten Anlage abgreifbar. Dies ist insbesondere deshalb gefährlich, weil der Potenzialabfall an dem im TT-System vorhandenen Einzelerder aus physikalischen Gründen sehr steil ist. Es besteht daher eine erhebliche Gefahr, dass die Fehlerspannung, speziell von den Nutztieren, auch abgegriffen wird, was bei einer längeren Fehlerdauer, z.B. bei einem Versagen des FI-Schutzschalters, durchaus tödlich enden kann.
Die Anwendung des TN-Systems stellt etwas höhere Qualitätsanforderungen an das Netz, die vom Netzbetreiber erfüllt werden müssen. Der wesentliche Unterschied besteht in der unmittelbar nach dem Hausanschlusses vorzunehmenden Verbindung zwischen dem Neutralleiter des Netzes (er heißt hier dann allerdings PEN-Leiter) und dem System aller Schutzleiter in der Anlage samt ihrer Erdung, wobei für letztere nur Mindestanforderungen gegeben sind. Die Konsequenz der Anordnung dieser „Nullungsverbindung“ besteht vor allem darin, dass der Fehlerstrom kurzschlussartige Werte annimmt, die nur von der Schleifenimpedanz (ZS) des Netzes und des fehlerhafteten Stromkreises abhängig sind. Daher kann der Fehler in aller Regel mit Hilfe der Überstrom-Schutzeinrichtungen erfasst und innerhalb der international genormten Zeiten ausgeschaltet werden. Die Besonderheit der österreichischen Nullung gegenüber den internationalen Festlegungen für die Schutzmaßnahme „Ausschaltung im Fehlerfall im TN‑System“ ist es jedoch, dass in Österreich die Ausschaltung grundsätzlich durch Überstrom-Schutzeinrichtungen erfolgen soll, während international dafür auch die Anwendung eines Fehlerstrom-Schutzschalters generell erlaubt ist. Mit der Begründung, dass ein Fehlerstrom-Schutzschalter bei einem Fehler zwischen L und N bestimmungsgemäß nicht auslöst, wurde seine Anwendung für die Nullung in Österreich nur dann vorgesehen, wenn infolge eines zu hohen Schleifenwiderstandes im Fehlerstromkreis eine Ausschaltung durch Überstrom-Schutzeinrichtungen nicht in der geforderten kurzen Zeit möglich ist. Dabei ist trotzdem das Ansprechen des Überstromschutzes, aber mit einem verringerten „m-Faktor“ von 2,5 gefordert. Bei Versagen des FI-Schutzschalters wird somit etwas mehr Zeit benötigt.
Letztlich ist ein Überstromschutz wegen des immer geforderten Leitungsschutzes ohnehin stets erforderlich.
Die Besonderheit der Nullung ist es jedoch, dass die Fehlerspannung am Schutzleiter der betroffenen Anlage wesentlich geringer ist und außerdem als Folge der mehrfachen, verteilten Erder an allen Hausanschlüssen im Netz, die über den PEN-Leiter des Netzes miteinander verbunden sind, einen deutlich flacheren Potenzialverlauf hin zur „Fernen Erde“ nimmt. Dies war letztlich der Grund, weshalb der Nullung bzw. dem dieser zugrunde liegenden TN‑System mit der Nullungsverordnung 1998 der Vorzug eingeräumt wurde.
Autor: Dipl.-Ing. Dieter Umlauft